Er ist nicht eifersüchtig.

Humoreske von Tann-Bergler
in: „Mülheimer Zeitung” vom 19.10.1896


Als die junge Wirtin mit ihrer Schwester, der Hauptmannsgattin — die aus einer entfernten Provinzstadt, wo ihr Mann in Garnison lag, für die Dauer der Manöver nach Wien, in ihre Vaterstadt auf Besuch gekommen war — sich endlich allein befand, ließ sie sich wie ermüdet in einen Sessel sinken und sagte im Ton der hoffnungslosesten Ergebung:

„Du hast mich gefragt, Marie, wie wir leben? Gut, natürlich, wie zwei Leute, die mit einander fürs ganze Leben verbunden sind... Oh, ich hab's mir ganz anders vorgestellt, ganz anders,” rief sie leiden schaftlich aus, „und wenn ich gewußt hätte...

Die Hauptmannsgattin brach in ein lustiges, helles Lachen aus und sagte dann mit tragischer Betonung und dramatisch tiefer Stimme:„Er liebt Dich nicht mehr!”

Die Wirtin zuckte die Achseln:„Ich freu' mich, daß Du mit Deinem Mann bessere Erfahrungen gemacht hast als ich.”

„Aber Kind,” unterbrach sie die Schwester, weißt Du denn nicht, daß alle jungen Frauen, sobald die Flitterwochen vorüber sind und die Anforderungen des täglichen, freilich oft nüchternen Lebens stärker hervortreten, sich schrecklich unglücklich fühlen. Dein Mann kann Dir doch jetzt nicht mehr, sowie er als Bräutigam gethan, jeden Tag durch den Dienstmann einen Strauß schicken, er kann Dich doch vor den Gästen nicht blos „Zuckermündchen” oder „Herzblättchen” rufen.”

„Sag, was Du willst,” rief die Wirtin, „er hat mich nicht mehr so lieb. Wenn mich früher ein Mann nur flüchtig angeblickt hat, so war er schon eifersüchtig wie der Mohr von Venedig...”

„Da haben wir's ja, er ist nicht eifersüchtig! Aber soll er Dich vielleicht unter einen Glassturz stellen, wie die Uhr dort auf der Etagere? Du mußt als Wirtin mit allem zufrieden sein.”

„Und ich bleib’ dabei, ich bin ihm schon in der kurzen Zeit gleichgiltig geworden.”

Sie mußte den Satz unvollendet lassen, denn ihr Mann trat in das Zimmer.

„Kommt ins Gastzimmer hinunter, Kinder, das Frühstück wartet schon auf Euch; und auf Dich, Viktoria, warten auch schon die Herren vom Dreier=Tisch. Es sind lauter gute Kundschaften und da muß man schon auf ihre Neckereien eingehen.”

Frau Viktoria kniff die hübschen, vollen Lippen zusammen und erhob sich schweigend. Aber ihrer Schwester warf sie einen bedeutungsvollen Blick zu, über welchen diese lächeln mußte.

Sie begaben sich in die Gastzimmer hinunter und bald war die saubere Wirtin der Mittelpunkt einer Gruppe von augenscheinlich sehr wohl gelaunten Herren — vermögenden Geschäftsleuten der Nachbarschaft, denen ihre Mittel es gestatteten, das „Gabelfrühstück” bis zwei Uhr nachmittags und noch länger auszudehnen und dabei den Eiskübel fleißig mit frischen Flaschen feinster Marke füllen zu lassen.

Nun, mit täglichen Gästen, „die etwas springen lassen,” wie man im Verkehr sagt, muß man freilich freundlich verkehren, aber Frau Viktoria war eben der Ansicht, daß ihr Mann in diesem Punkt ihr allzuviel zumute.

Sie wollte ihn nun doch einmal auf die Probe stellen. So lustig, wie heut, war die Wirtin, in welche alle Stammgäste verliebt waren, noch nie gewesen.

Der Wirt rieb sich vergnügt die Hände; die teuersten Sorten waren aus dem Keller gekommen und die Zeche hatte schon eine noch nie dagewesene Höhe erreicht.

Als sich seine Frau für eine Weile entfernte, um in der Küche nachzusehen, trat ihr Mann auf sie zu:

„Du bist doch ein prächtiges Frauchen, ein wahrer Haupttreffer für mich. Wie geschickt Du die Leute zu behandeln verstehst!”

Die salzige Flut des Aergers stieg der Wirtin in die Augen, und sie ließ ihren Unmut an dem Rostbralen aus, den sie mit Aufwand ihrer nicht geringen Mittel klopfte. Der Gast, der ihn bestellt hatte, erklärte ihn für ein wahres Wunder der Kochkunst, er wußte nicht, aus welcher Ursache der Braten gar so besonders mürbe geraten war.

Der Wirt schmunzelte fröhlich, als die begeisterten Stammgäste vom Dreier-Tisch auf das Wohl der Wirtin tranken und ankündigten, daß am Abend der Namenstag der gediegensten aller „Viktorien” großartig gefeiert werden müsse.

Nein, er war alles eher als eifersüchtig.

Am nächsten Morgen brachte er ihr gleichzeitig mit dem wertvollen Namenstagsgeschenk ein Zeitungsblatt, dessen Anzeigenteil folgende Zeilen enthielt:

„Ein dreifaches Hoch
zum heutigen Tage der schönen Wirtin vom „goldenen Stern!”
Mehrere Stammgäste.”

Er fühlte sich infolge dieser seiner Frau zu teil gewordenen Aufmerksamkeit sehr geschmeichelt.

„Ein Prachtfrauchen, ich sag's ja immer,” rief er, indem er ihr einen kräftigen Kuß verabreichte, daß es nur so schallte. „Halt! Da schau her, Frauchen!”

Und er wies auf eine andre Stelle desselben Blattes.

„Noch was zweites, was Dich angeht.” Und er las ihr in nicht ganz tadellosem Neuhochdeutsch das zweite Inserat vor, mittels dessen ein andrer Stammgast ein „zehnfaches” und noch dazu„donnerndes” Hoch an sie richtete.

Dann ging er wieder ins Geschäft hinab, und gleich danach kam seine Schwägerin mit einem Blatt zu ihm und fragte:

„Hast Du's gelesen, Rudolph? Da bringen Deine Stammgäste der Viktoria zu ihrem heutigen Namenstag...”

„Weiß schon,” erwiderte er, ohne von dem Kassenbuch aufzublicken, „ein dreifaches Hoch und zehn brausende Hochs, ja, sie ist sehr beliebt!”

„Aber nein, das ist ja in einem andern Blatt. In diesem sind gleich drei Gratulationen hintereinander.”

„In dieser Zeitung auch,” mischte der Zahlkellner sich ins Gespräch, indem er ein andres Journal herbeibrachte.

Der Wirt unterbrach sein rechnen und legte den Bleistift weg.

„Aha — hm schau, schau!”

Und er las halblaut aus dem Blatt vor sich hin, das ihm seine Schwägerin gebracht hatte:

„Hochl hoch! hoch!
Herzlichste Glückwünsche der saubern Wirtin vom „goldenen Stern.”
Ein stiller Verehrer.”

„Das ist eine Keckheit,” rief er erregt. „Ich möchte nur wissen, von wem das ist — Sapperment, wenn ich den unverschämten Menschen doch erwischte!..”

Und er machte mit den Händen eine Bewegung, wie wenn er einem unsichtbaren Gegner das Genick umdrehen wollte.

„Hast Du schon die andern gelesen?” erkundigte er sich bei seiner Frau, die rosig gelaunt herabkam.

Sie verneinte, las jedoch das Dargereichte, welches ihr, nach dem Ausdruck ihres Gesichtes zu schließen, sehr zusagen mußte.

„Ach, das ist lieb.... die Aufmerksamkeit.... wenn ich nur erfahren könnte, von wem das ist!”

„Ja, wenn ich das nur erfahren könnte,” rief der Wirt und schlug mit der Faust auf das Pult,„es ist eine Frechheit sondergleichen..”

„Aber Rudolph, eine Wirtin muß doch freundlich mit allen Gästen sein, das hast Du mir ja selber oft gesagt....”

„Natürlich, ich, nur ich hab' Dir gesagt, daß Du Dir einen stillen Verehrer mit donnernden und brausenden Hochrusen anschaffen sollst!”

„Eine Gefälligkeit bringt die andre mit sich,” bemerkte sie kaltblütig, „und ich sehe gar nicht ein, warum sie mir nicht glückwünschen sollen.”

„In solchem Ton, das siehst Du nicht ein?” —

„Das geht die gnädige Frau an,” unterbrach jetzt der Speisenträger die Auseinandersetzung der beiden Eheleute. Er hielt hoch erhoben eine vierte Zeitung und deutete mit einem Finger auf eine fettgedruckte Stelle der letzten Seite.

Der Wirt riß ihm das Blatt aus der Hand und las:

„Ah, das geht über den Spaß! Viktoria, Du kommst mit mir in die Wohnung, wir haben Ernstes mit einander zu sprechen!”

Sie folgte ihm ohne Gegenrede.

„Hast Du auch das gelesen?” Er hielt ihr das Blatt vor das Gesicht. „Du weißt natürlich von nichts?...”

„Der schönen Frau Viktoria K.... Gastwirtin vom„goldenen Stern,” Gruß und Kuß von ihrem Maxi!...”

Er faßte sie bei der Hand und rief zornbebend: „Weib, Du hintergehst mich, Du hast einen Maxi!...

Sie lachte lustig auf wie ein Kind, dem man ein liebes Spielzeug giebt, klatschte in die Händchen und umschlang dann seinen Nacken:

„Er ist eifersüchtig!” rief sie freudestrahlenden Gesichts. „Du hast mich also noch immer so gern wie früher,” jauchzte sie.

Aber so leicht ließ sein Argwohn sich nicht besänftigen.

„Laß mich los, ich muß wissen, wer diese Hochrufe und Glückwünsche...”

„In die Zeitung gegeben hat?” ergänzte die Schwägerin, die auf den Zehenspitzen ins Zimmer getreten war und die ganze Unterredung mit angehört hatte.„Das kann ich Dir sagen. Ich hab' es gethan, hier sind die Inseratguittungen und ich bitte Euch beide um gütige sofortige Rückstellung der acht Gulden und dreiundsiebzig Kreuzer, die ich für Euer Glück ausgelegt habe.”

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